Grössere Änderungen gab es erst mit der Ankunft der Römer um 15 v. Chr. Diese nahmen das Gebiet von Zürich-Nord in Besitz und errichteten nach und nach ihre verschiedenen Stützpunkte, vorwiegend entlang dem von ihnen zur Heeresstrasse ausgebauten ehemaligen Keltenpfad von Zürich nach Kloten. Aus römischen Unterlagen, welche in der Zeit um 58 v. Chr. verfasst wurden, geht hervor, dass Julius Cäsar die Zahl der «Kelten» in Helvetien auf etwa 300'000 schätzte, was vermutlich deutlich zu hoch angesetzt gewesen sein dürfte, warum auch immer. Julius Cäsar hatte da so seine guten Gründe für die Übertreibung, denn er musste ja nach Rom Höchstleistungen rapportieren. In Wirklichkeit dürften es höchstens 100'000 Einwohner gewesen sein. Daraus kann geschlossen werden, dass in Zürich-Nord die bereits erwähnten 100 Leute eine vernünftige Annahme darstellen. Mit der späteren Ankunft der Römer war aber die Zeit der Kelten in unserem Gebiet noch lange nicht zu Ende.
Dass Zürich-Nord mit einer Bevölkerung keltischer Kultur besiedelt war, kann man indirekt aus dem Umstand herauslesen, dass die Römer in Örlikon wie in Seebach einen Gutshof betrieben, welcher aus Holz aufgebaut war, eine den Römern nicht besonders gelegene Bauweise. Der Örliker Gutshof lag nahe beim Keltendörfli an der Regensbergstrasse auf der Halde. Das weist darauf hin, dass die Römer nicht alles neu aufbauten, sondern dass sie sich vor allem das, was bereits vorhanden war, zunutze machten und optimierten. Dazu gehörten auch die hiesigen keltischen Siedlungen. Im Falle jener Siedlung beim Örliker Wäldli kann man annehmen, dass dort ein römischer Gutsherr Wohnsitz nahm, worauf die Hypokaustenteile hinweisen, welche man dort vorfand. In Seebach hingegen fand man keine solchen Teile, sodass man davon ausgehen kann, dass diese Siedlung weiterhin von einem 'Kelten' geführt wurde.
Die Örliker Siedlung darf daher als Mansio und Mutatio interpretiert werden, während die Seebacher Siedlung nur eine Mutatio mit der Zweitfunktion eines Gutshofes gewesen sein dürfte. Mansio bedeutet Herberge und deutet an, dass in Örlikon auch Durchreisende übernachtet haben. Mutatio bedeutet Pferdewechsel und zeigt deutlich den Bedeutungsunterschied an, welcher schon damals zwischen Örlikon und Seebach bestand.
Wie die Römer siedelten
Es gab somit in Örlikon auch zur Römerzeit sesshaftes Leben und die Siedlungen dienten gleich dreierlei: Der Übernachtung von Durchreisenden, dem Pferdewechsel und dem landwirtschaftlichen Betrieb. Es ist bekannt, dass die Römer ihre Heeres- und Handelsstrassen ziemlich rasch nach ihrer Ankunft bauten. Ausserdem lag Örlikon an einer solchen Strasse, welche *Turicum (Zürich) und *Clavodunum (Kloten) in ziemlich direkter Linie miteinander verband. Somit ist der Beginn der römischen Präsenz in Örlikon auf die Zeit kurz vor der Zeitenwende anzusetzen. Die Handels- und Heeresstrassen waren von zahlreichen Gutshöfen flankiert, welche die landwirtschaftlichen Erzeugnisse lieferten, welche die neuen Besatzer zum Unterhalt ihrer Beamten und Soldaten brauchten. Diese Höfe wurden erst nach und nach erstellt.
Der rlikon am nächsten gelegene römische Gutshof lag im Gebiet Irchel und war ein befestigtes Landgut aus Stein. Er wurde von den späteren Alemannen 'Mur' genannt und lag nur etwa 700 m vom Örliker Landhaus entfernt. Im Gebiet Althoos lag ein weiteres Landgut, welches damals möglicherweise zu Örlikon zu zählen war. Es war etwa 1,3 km vom Örliker Landhaus entfernt. Weniger bekannt ist, dass es bei der offenen Rennbahn ein weiteres, mutmassliches römisches Landgut gab, sodass zusammen mit dem kleinen Keltendörfli auf der Halde insgesamt fünf Häusergruppen das alte römische Örlikon bildeten. Da diese allerdings weit verstreut lagen, hatten die Römer vermutlich keinen Anlass, dieser Repräsentanz einen Ortsnamen zu geben.
Hingegen könnte die Keltensiedlung auf der Halde mit dem Landhaus einen Ortsnamen getragen haben. Alle Versuche, einen solchen zu rekonstruieren sind jedoch zum Scheitern verurteilt, da es keinerei schriftliche Hinweise gibt. Die fünf Örliker Siedlungsorte standen in regem Kontakt, hatten aber verschiedene Zweckbestimmungen. Die Römerstrasse führte vom Milchbuck her entlang der heutigen Schaffhauserstrasse zum Berninaplatz und von dort über die Dörflistrasse bis zur Rennbahn und weiter bis zum Niederloch bei der Andreasstrasse. Die Römer kannten damals die heutigen Gemeindegrenzen noch nicht, die entstanden erst später unter den Alemannen. Oberstrass und Affoltern werden der OGS sicher nicht gram sein, wenn sie für diese Frühgeschichte Örlikons je einen Gutshof ausgeliehen hat. Fazit: Örlikon war von der Zeitenwende bis etwa zum Jahr 400 durchgehend besiedelt. Man darf jetzt von gut 75 Einwohnern ausgehen, die gallorömischen Landarbeiter mitgerechnet.
Die Kelten wurden romanisiert
Neben den römischen Herren in Örlikon, es mögen wahrscheinlich nicht viel mehr als ein Dutzend gewesen sein, gab es noch die eben erwähnte, keltische Bevölkerung, denn irgend jemand musste ja die Arbeit verrichten. Ihre Zahl war bedeutend grösser und dürfte zur Römerzeit etwa 60 Personen umfasst haben. Diese dürften teilweise im Gutshof Irchel, bei den Landhäusern Rennbahn, Örliker Wäldli und Althoos sowie zum überwiegenden Teil aber in ihren eigenen Hütten auf der Halde gelebt haben.
Diese Kelten waren, wie schon mehrfach erwähnt, keine reinrassigen Kelten, sondern ein hier über die Jahrtausende langsam sesshaft gewordenes Völkergemisch, welches keltisch sprach und die keltische Kultur pflegte. Sie passten sich aber unter der römischen Herrschaft den Gepflogenheiten der neuen Herren an und legten mit der Zeit ihre keltische Sprache zugunsten der lateinischen ab. Dennoch behielten sie ihr Keltisch als Haussprache noch längere Zeit bei. In dieser Phase sind zahllose Wörter vom Keltischen ins Lateinische übergegangen und blieben als Substratwörter im hier gesprochenen Lateinischen erhalten.
Die keltische Sprache in unserer Gegend ist somit nicht ausgestorben, sondern übergegangen ins damalige Latein. Ein gewisser Teil von ihr blieb als Substratsprache bis heute erhalten, indem diese später an die Alemannen weitergegeben wurde. Das sind zum Teil alle jene Dialektwörter, welche keinen alemannischen Hintergrund haben und teilweise bis heute überlebt haben. Auch die keltischen Bräuche vermischten sich mit denen der Römer. Die keltischstämmigen Einwohner legten sich lateinische Rufnamen zu oder latinisierten ihre keltischen Namen. Die römische Herrschaft blieb Helvetien bis zum Jahre 402 erhalten, dann zogen die Römer ihre Truppen aus Helvetien ab. Mit ihnen gingen wohl auch alle noch genügend jungen militärischen Führer, während die zwei bis drei in Ehren ergrauten Gutsvorsteher eher hier geblieben sein dürften.
Trotz über 400 Jahren Römerherrschaft muss man sich im Klaren sein, dass die Römer Helvetien nicht mit einer nennenswerten, lateinischen Zuwanderung beglückten. Es kamen nur militärische Führungsleute, altgediente Kader, denen man ehrenhalber die Leitung eines Gutshofs überliess sowie Soldaten und mit Sicherheit auch einige fliegenden Händler. Diese beeinflussten mit das Geschehen im Norden Zürichs und sorgten dafür, dass die einheimische Bevölkerung nach und nach auch lateinisch lernte. Sie erfuhr ethnisch aber keine gravierende Veränderung, sodass man diese gemeinhin als gallorömisch bezeichnen darf. Das gallo steht deshalb zuerst, weil ihre Abstammung und das Latein, welches sie sprachen, weiterhin sehr stark keltisch, also gallisch beeinflusst blieb, auch nach dem Abzug der Römer.
Örlikon stand während der gesamten Römerzeit nie ausdrücklich unter dem Einfluss eines alemannischen Siedlungsdruckes. Dieser wurde ja nur weit entfernt entlang dem Rhein wahrgenommen. Alemannenüberfalle gab es in Zürich-Nord kaum in dem Masse, dass man sie so nennen könnte. Doch waren die Römer auf der Hut. Hingegen dürften schon weit vor dem Jahre 400 vereinzelt Alemannen hier Fuss gefasst haben, mit Weib und Kind. Diese Zuwanderung entsprach dem natürlichen Wanderungstrieb, gegen welchen die Römer im vernünftigen Rahmen nichts einzuwenden hatten. Die römischen Truppen hatten nur den Auftrag, die militärische oder strategische Besitznahme Helvetiens durch die Alemannen zu verhindern, wozu sie die keltische Bevölkerung einspannten. Gegen vereinzelte Einwandererfamilien gingen sie nicht vor. Es ging den Römern primär um die Sicherung ihrer Grenzen, ihres Einflusses und letztlich um ihre Macht und um die Bändigung der Kelten sowie der Abwehr der Alemannen schlechthin. Das ist ihnen so lange gelungen, bis sie gezwungen waren, ihre Truppen an dringendere Orte umzudisponieren und Helvetien als römische Provinz fallen zu lassen.
Tiefer Einschnitt nach dem Abzug der Römer
Der Abzug der Römer hinterliess in Örlikon eine beträchtliche Lücke, denn der Gutshof im Irchel musste seine Produktion an landwirtschaftlichen Gütern erheblich reduzieren. Es gab keine Lieferungen mehr ans römische Militär und an die römischen Führer, welche in Örlikon wohnten. Eine weitere Einbusse an Lebensqualität war auch der Verzicht auf den römischen Wein und das Olivenöl und viele weiteren Annehmlichkeiten mehr, welche aus dem römischen Reich den Weg hierher gefunden hatten. Somit dürften etliche Arbeiter gezwungen gewesen sein, nach einer anderen Arbeit an einem anderen Ort zu suchen und mit Weib, Kind und Kegel wegzuziehen. Nicht zuletzt verschwand aber auch die römische Leitkultur und gleichzeitig war die eigene keltische schon weitgehend verblasst.
Die Einwohnerzahl Örlikons dürfte nach und nach von ehemals 75 auf 25 oder noch weniger gefallen sein. Viele Bauten begannen zu zerfallen. Letztlich hat aber eine kleine Zahl von vielleicht 20 Personen, entsprechend etwa drei Bauernhöfen überlebt. Die verbliebene Bevölkerung bestand wie schon zuvor, weiterhin aus der längst romanisierten Bevölkerung, den sogenannten Gallorömern, die aber weiterhin keltische Ansätze in ihrem kulturellen Leben pflegte. Bis anhin ging man davon aus, dass Örlikon nach dem Abzug der Römer sich völlig entvölkerte, was vermutlich etwas zu radikal gedacht ist. Örlikon entvölkerte sich in der Tat, jedoch nicht gerade bis auf den letzten Kopf. Die weiter vorne genannte Zahl von 20 erwachsenen Personen darf als untere Grenze betrachtet werden. Die Tatsache, dass es auch in unserer Gegend etliche römisch basierte Flurnamen gibt, aber auch eine bestimmte lokale Einfärbung unseres Dialektes erfordert zwingend eine minimale Bevölkerungskontinuität, welche dieses Sprachgut überlieferte. Fortsetzung siehe unter Frühgeschichte Örlikons 3. Teil!