OGS Seebach - Beitrag

Brülling
Fahrzeuge – Auto – historisch
Beim vordersten grossen Wohnblock im Schönauring gab es hinter dem Kindergarten eine Reihe von Garagen. Diese Anlage wurde 1947 geplant und um 1949 fertiggestellt. Aufgrund des Umstandes, dass es damals in ganz Seebach nur wenig mehr als ein paar Dutzend Autos gab und die Siedlung seinerzeit vor allem für die einfache Arbeiter- und Angestelltenschaft gedacht war, glaubte man, dass die fünf Garagen für die ganze Siedlung auf Jahrzehnte hinaus genügen würden. Wie jedermann weiss, kam es ein wenig anders.

Seit etwa 1950 wohnte ganz in der Nähe dieser Garagen, vermutlich im Schönauring 67, ein offenbar ziemlich engagierter Automechaniker namens Kuhn*), der einen hellbraunen «Brülling» fuhr. So jedenfalls nannte er sein Auto auf die Frage von ein paar Buben, was denn das für ein Wagen sei. Ich glaube sogar noch zu hören, wie er diesen Namen sagte. Wegen des seltsamen Namens habe ich das Wort «Brülling» zeitlebens nicht mehr vergessen. Trotzdem ist es mir bis heute nicht gelungen, in den mir zur Verfügung stehenden Nachschlagwerken eine Automarke dieses Namens zu finden. Entweder war sie unglaublich bedeutungslos oder es hat sie gar nie gegeben und der Mechaniker hat sich mit uns damals so etwa 7-jährigen Buben einen Scherz erlaubt. Wie der Mechaniker auf diesen Namen kam, blieb unbekannt. Der Name Brülling ist extrem selten. Es gibt in ganz Europa höchstens ein Dutzend Träger dieses Namens. Sie stammen alle aus dem Märkischen Kreis in Nordrhein-Westfalen. Ich glaubte aber an die Automarke Brülling bis zum Niederschreiben dieses Beitrages. Erst bei der Internet-Suche dämmerte es mir allmählich, als ich erkennen musste, dass es nie eine solche Automarke gegeben hatte.

Inzwischen habe ich zufällig meinen Bruder darauf angesprochen und dieser konnte sich ebenfalls an diesen 'Mechaniker' erinnern und er beschrieb den hellbraunen Wagen genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er aber wusste noch, dass es in Wirklichkeit ein Peugeot war. Die genaue Typenbezeichnung war 202, wie man in der Peugeot'schen Autogalerie rasch herausfinden konnte. In der Google'schen Bildergalerie fand sich trotz Hunderten von Bildern kein einziges in hellbrauner Farbe, was vermuten lässt, dass der Wagen ursprünglich rot war und lediglich wegen seines Alters zu hellbraun verblich. In Erinnerung ist nämlich auch, dass er nirgends mehr glänzte, sondern völlig matt war. Dass rote Autos ohne regelmässiges Polieren ihre Farbe verlieren, ist hinlänglich bekannt.

Der besagte Mechaniker arbeitete während mehreren Jahren (!) fast jeden Tag an dem Wagen, meist unter der seitlich geöffneten Motorhaube. Wie es schien, hatte er offenbar ein Vergaserproblem und er fluchte fast ständig wie ein Henker und drohte dann dem armen Wagen, dass er ihn verkaufen werde. Der Dialekt, in welchem er fluchte, war ein sehr heller aus der Nordostschweiz, sodass seine fremdartig klingende Mundart für uns Kinder erst recht ein Anreiz war, dem Autobesitzer Worte zu entlocken. Zwischendurch drehte er mit dem bedrohlich knatternden Wagen eine Runde um den Schönauring. Explodiert ist der Motor aber nie, sodass der Mann offenbar schon etwas von seinem Handwerk verstand.

Sehr viel mehr als die gelegentlichen Knatterrunden hat das Auto in all' den Jahren aber kaum zurückgelegt, denn nach jeder Probefahrt verkroch sich der Mann sofort wieder unter der Motorhaube und begann zu schrauben. Immer wieder scharten sich die Kinder um den Wagen, was er aber gar nicht mochte und fortlaufend sagte, man störe ihn und stehe ihm im Wege. Es scheint, als hätte er sich bei den Kindern absichtlich ein bisschen unbeliebt gemacht, damit er sich in Ruhe und möglichst ungestört dem Vergaserproblem widmen konnte.

Ein Augenschein im Jahre 2004 hat dann ergeben, dass er das Problem inzwischen irgendwie lösen konnte, denn der Brülling alias Peugeot 202 stand nicht mehr dort!

*)Der Name Kuhn ist eine Erinnerung, mehr nicht. Der Mann war Familienvater und hatte anscheinend zwei Kinder, die Johnny und Anneli hiessen, so erinnerte sich mein Bruder.

Quellen:
- OGS-eigene
- Robert Berger, jun.

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