OGS Seebach - Beitrag

Liebstöckel
Gastronomie – Übrige – historisch
Vorgeschichte

Liebstöckel ist ein klassisches Küchenkraut der älteren oberdeutschen Küche und hatte früher auch in Seebach eine sehr starke Verbreitung, daher erscheint es in der OGS.

Das Kraut gedieh auch im mitteleuropäischen Klima sehr gut und war ein äusserst dankbares Gewürz. Es stand früher in jedem Gemüsegarten und bereicherte zahlreiche Gerichte der meist bäuerlichen Bevölkerung sowie in den Arbeitersiedlungen. Noch in den 1950er Jahren sah ich es in zahlreichen Gärten der Reihenhäuser der Baugenossenschaften BGZ, BSZ, ASIG usw. in Zürich-Seebach. Danach wurde es immer mehr zu einem Suppengewürz reduziert und die übrigen Anwendungen grieten etwas in Vergessenheit. Liebstöckel passt aber auch hervorragend zu Kartoffel- und Käsegerichten und kann überall dort eingestzt werden, wo man heute Peterli und Basilikum benützt. Wem der Geschmack des Krauts etwas zu intensiv ist, kann es zusammen mit diesen beiden Kräutern benützen oder einfach ein paar Blätter weniger nehmen.

Auch wenn gewisse Spitzenköche den Liebstöckel heute ignorieren, er schmeckt immer noch gleich wie vor 100 oder vor 1000 Jahren und vermag einem Gericht ein gutes Aroma zu verleihen. Daher sollte man ihn nicht umgehen, sondern bewahren. Die führenden Köche suchen ihr Heil derzeit mehr im exotischen Bereich, doch das ist vorübergehend.

Woher der Liebstöckel kommt

Der Liebstöckel wurde vermutlich durch Griechen nach Marseille und später von den Römern in unsere Gegend gebracht. Das dürfte im ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende gewesen sein. Der Liebstöckel heisst in Griechenland Levistikon und in Italien Levistico. Vor allem in Ligurien wächst auch noch ein ähnliches, verwandtes Kraut namens ligustico, das wegen der Ähnlichkeit im Aussehen, im Namen und im Geschmack manchmal mit Liebstöckel verwechselt wird, von dem in diesem Beitrag aber nicht die Rede ist. Man vermutet heute, dass der Liebstöckel ganz ursprünglich von Persien her ans Mittelmeer gelangte. Ligustikum stammt hingegen aus Fernost.

Maggikraut und Maggi-Würze

Zur im Oberdeutschen üblichen Bezeichnung «Maggikraut» für den Liebstöckel sei noch dies vermerkt: Die Pflanze erhielt diesen Namen nicht etwa von Julius Maggi, dem bekannten Suppenhersteller, sondern von den Bewohnern rund um seine Fabrik in Kemptthal, denn das Aroma, welches die Fabrik bei der Zubereitung ihrer Bouillons und Suppen kilometerweit verströmte, erinnerte die Leute an den Geruch des Liebstöckels.

Es wird gerne berichtet, dass Julius Maggi und seine Nachfolger den Liebstöckel angeblich gar nie für ihre Suppen benützt hätten. Das ist allerdings eine Fehlinterpretation. Liebstöckel wurde nur bei der Herstellung der Maggi-Würze nicht verwendet, für die Bouillonwürfel und für einige Suppenwürfel höchstwahrscheinlich schon. Es wäre doch sehr erstaunlich, wenn es für die Suppen selber nicht verwendet worden wäre, denn das Kraut stand zur Gründungszeit der Suppenfabrik in jedem Krautgarten, ganz besonders in den Kantonen Zürich und Thurgau, wo Julius Maggi aufwuchs und später seine Fabrik betrieb. Liebstöckel war früher ein absolutes Muss in einer Suppe. Die OGS vermutet daher, dass Julius Maggi den Liebstöckel zumindest in der Anfangszeit für seine Suppenwürfel sehr wohl verwendete. In der Maggiwürze hat er ihn lediglich deshalb nicht verwendet, weil er ja schon in seinen Suppen zur Anwendung kam.

Diese Sicht wird bestärkt durch die Herkunft von Julius Maggi: Er wurde am 9. Oktober 1846 in Frauenfeld TG geboren. Sein Vater stammte aus der Lombardei und war Müller, seine Mutter war die Tochter eines Zürcher Lehrers. Nach seiner Schulzeit absolvierte Julius Maggi in Basel eine kaufmännische Lehre und besuchte anschliessend die Rekrutenschule. Er lebte, wohnte und arbeitete in einer Gegend, wo der Liebstöckel besonders beliebt war und sein Vater stammte aus einer Gegend, wo das gleiche noch mehr galt, nämlich aus Italien. Julius Maggi war stets bestrebt, dass seine Suppen gut schmeckten und sorgte durch die Auswahl geeigneter Kräuter dafür und dazu gehörte damals auch der Liebstöckel. Da sich die Geschmäcker im Laufe der Zeit ändern, ist es gut möglich, dass Liebstöckel heute bei der Industriesuppenherstellung nicht mehr die herausragende Bedeutung von früher hat.

Die alten Bouillonwürfel von Maggi sind in Europa durch eine andere Verpackungsart ersetzt worden, nicht aber in Neuseeland und Australien. Dort werden die Würfel immer noch hergestellt, entsprechen aber sehr stark dem dortigen Geschmack und sind für den heutigen festlandeuropäischen Gaumen nicht geeignet. Ich habe bei einer Überwinterung in Australien einen solchen Würfel aufgekocht und die Bouillon probiert, daher dieser Hinweis. Auf die Beschreibung meiner Sinneseindrücke im Gaumenbereich möchte ich aus Respekt vor den äusserst gastfreundlichen Australiern lieber verzichten. Vergeblich hoffte ich, auf der Zutatenliste der Verpackung den Liebstöckel zu finden. Die Firma Maggi (Neuseeland) behält das Geheimnis für sich, welche Kräuter sie für die Bouillonwürfel verwendet. Es steht nichts von lovage, sondern lediglich spice!

Cumarin

Als die OGS vor Jahren ein erstes Rezept mit Liebstöckel publizierte, geriet dies offenbar zwei Lesern in den falschen Hals, denn sie monierten, dass ich dieses Rezept am besten streichen täte, wo doch hinlänglich bekannt sei, dass Liebstöckel giftig sei! Die guten Leute sind vermutlich einem reisserisch aufgemachten Bericht zum Opfer gefallen, der von einem nur oberflächlich ausgebildeten Ernährungsberater stammte. In Liebstöckelblättern gibt es tatsächlich ein ganz klein wenig Cumarin, doch ist es in der vorhandenen Menge völlig ungefährlich. Atmen ist bei weitem gefährlicher!

Zur angeblichen Gefährlichkeit des Cumarins sei auf den Beitrag «Cumarin» in Wikipedia verwiesen. Cumarin ist auch im Zimt enthalten und den nimmt man auch anstandslos zu sich. Gleiches gilt für den Waldmeister. In den beim Essen üblichen Mengen ist Liebstöckel, Zimt und Waldmeister völlig harmlos. Man verlasse sich also am besten auf seinen eigenen Instinkt oder wenigstens auf den Verstand! Kein vernünftiger Mensch isst derartige Mengen von Liebstöckel, dass es gefährlich werden könnte.

Beliebtes Kraut im oberdeutschen Sprachgebiet

Liebstöckel ist im ganzen oberdeutschen Sprachraum sehr beliebt, vor allem im Kartoffelsalat. Wer im Internet nach Kartoffelsalat mit Liebstöckel sucht, findet hunderte von Rezepten! In der Schweiz gerät der Liebstöckel vor allem in städtischen Gebieten immer mehr in Vergessenheit, wahrscheinlich, weil die heutigen 'Hausfrauen' gar keine Zeit mehr fürs Kochen und für die Pflege eines Kräutergartens haben, sondern immer mehr Fertiggerichte benützen, da sie eben keine Vollzeit-Hausfrauen mehr sind. Erkennbar ist dieser Trend daran, dass im Kräutergestell der Grossverteiler die Auswahl an Kräutern eher kleiner wird. Selbst in Amriswil oder Frick haben alle Läden den frischen Liebstöckel aus dem Sortiment genommen. Coop war 2013 der letzte Laden, der dies tat. Es ist fast nicht zu glauben, aber in dieser Stadt mit 13'000 Einwohnern erhält man bei keinem einzigen Grossverteiler mehr Liebstöckel! Dies ganz im Gegensatz zu andern Städten, vor allem in Süddeutschland.

Wer auf Liebstöckel dennoch nicht verzichten und ihn auch nicht selber pflanzen kann, hat zur Not die Möglichkeit, den Liebstöckel als Pulver oder Blätter in getrockneter Form zu verwenden. Meine Versuche, mich mit getrocknetem Liebstäckel zufrieden zu geben, sind gescheitert. Man kommt nicht darum herum, sich im April eine junge Staude in den Gartenzentren zu besorgen oder allenfalls in einer Gärtnerei oder auf einem Bauernhof. Coop Bau und Hobby führt ihn im Frühling ab April bis etwa Anfang Juni. Wer keinen Garten oder ein tiefes Balkonbeet hat, muss den Stock in einer Wiese oder einem Garten eines Bekannten pflanzen und wöchentlich einen grossen Stiel nach Hause nehmen. Dort kann man ihn in der Küche in einem tiefen Glas moit Leitungswasser und 2 Tropfen Flüssigdünger zwischenlagener. Bei mir hielt er stets eine Woche durch.

Beim Kochen kann man sowohl die getrockneten Blüten als auch die frischen Blätter verwenden. Getrockneter Liebstöckel erst ganz am Schluss beifügen. Frischer Liebstöckel kann man schon früh zugeben. Aus Liebstöckelblättern kann man auch einen Pesto zubereiten oder ihn zusammen mit Basilikum und Peterli verwenden. Er passt auch hervorragend in die Thurgauer Stupfete, eine Art Thurgauer Pesto, den man zu heissen Kartoffeln isst. Liebstöckel passt aber auch zu zahlreichen anderen Kartoffelgerichten, in Hackbraten, in Hacktätschli (Frikadellen, Buletten), zu Pilzen, zu Fisch, zu Fleischvögeln und Suppen und harmoniert mit Zwiebeln und Knoblauch bestens. In Saucen und Suppen kann man die Zweiglein mitkochen und entfernt sie kurz vor dem Servieren.

Kräutermedizin

Liebstöckel wird auch in der Kräutermedizin eingesetzt. Er hat günstige Wirkungen bei rund 30 verschiedenen Beschwerden, ist also ein Allerweltsmittel. Man wende sich an die Vorschläge von Pfarrer Dr. Johann Künzle. Als Küchengewürz eingesetzt hat er somit prophylaktische oder heilende Eigenschaften. Die Wirkung ist sehr langsam und schonend. Mehr dazu siehe in einem Kräuterhandbuch, falls Sie das Buch von Dr. Künzle nicht besitzen!

Im Garten

Im Kräutergarten liebt er eher sonnige bis halbschattige Plätze. Er gedeiht aber nicht an jeder beliebigen Ecke. Das hängt offenbar auch von der Nähe anderer Pflanzen und von der Bodenbeschaffenheit (Nässe) ab. Er sollte tiefgründig und humos sein. Man muss an verschienenen Stellen testen. Wenn man den richtigen Platz gefunden hat, gedeiht er prächtig. Die Wurzeln sind winterfest. Er ist in ganz Mittel- und Südeuropa verbreitet. Ich sah ihn sogar noch nördlich von Helsinki. Meine Versuche, ihn im Herbst im Wohnzimmer zu halten und so über den Winter zu bringen, sind alle gescheitert. Man muss also für den Winter die nötige Menge in tiefgefrorener Form vorrätig halten.

Mit dem vorübergehenden Lagern von Blättern im Kühlschrank habe ich gute Erfahrungen gemacht. Sie halten gut verschlossen mit ein paar Tropfen Wasser in einer Kühldose bis zu zwei Wochen. Mit tiefgefrorenen Blättern mache ich derzeit noch Versuche. Erste Ergebnisse ergaben, dass die gepflückten Blätter in einer gut verschliessbaren Tiefgefrierbox im Tiefgefrierer auch nach drei Monaten noch wie frisch schmecken. Ein wichtiger Tipp: Nicht zu viele Blätter in eine Box geben, so haben sie genügend Platz, sich zu kringeln. So können die Blätter einzeln aus der Box genommen werden. Sie haben nach dem Auftauen noch den vollen Geschmack. Es zeigte sich, dass mit dieser Methode auch durch den ganzen Winter hindurch zumindest 'frisch' riechende Liebstöckelblätter verfügbar sind. Bisher habe ich die Blätter nach der Ernte getrocknet, doch dadurch verloren sie ihren Geschmack recht bald.

Nach der Blüte schneide ich die dicken Stiele zurück, sodass der Strauch wieder Kraft hat, um neuen Stängel zu bilden. Diese werden dann nicht mehr so hoch. Jene Stängel, welche zum Welken neigen, lasse ich so lange stehen, bis sie verdörrt sind, dann schneide ich sie ab und gebe sie in den Kompost. Der Liebstöckel muss immer ein kräftiges Grün aufweisen. Neigt er bald zum Vergilben, dann mangelt es ihm an Dünger. Er braucht reifen Kompost, Hornspäne usw.

Der Liebstöckel ist nicht besonders empfindlich auf Kälte. Die ersten Triebe spriessen bei mir schon Mitte März aus dem Boden und es schadet ihnen nichts, wenns nochmals drauf schneit. Doch stärkeren Frost im Frühling und im Herbst können ihm arg zusetzen. Späte Frostnächte übersteht er gut, wenn man die noch junge Pfanze während des Frostes mit einem grossen Tontopf deckt und das Loch verschliesst. Meist kann ich noch bis Ende November die letzten Blätter ernten. Am längsten hielt der Strauch im heissen Jahr 2003. Da erntete ich am 7. Dezember die letzten Blätter. 2014 war es schon Mitte November soweit.

Liebstöckel kann ganz unterschiedlich schmecken, je nachdem wie er aufwächst. In Balkonkistchen bleibt er kleinwüchsig und nicht besonders ergiebig, dafür sind die Blätter jung und schmecken sehr aromatisch. Bei Gartenpflanzen hingegen sollte man darauf achten, dass man zum Würzen nur junge und frische Blätter verwendet, sie sind viel aromatischer, während ältere Blätter recht bärbeissig oder bitter schmecken und besser nicht verwendet werden sollten.

Liebstöckel in Finnland

Selbst in Finnland fand das Kraut seine Liebhaber, vor allem für die Liebstöckelsuppe. Da der Liebstöckel über Schweden nach Finnland gelangte, fusst die finnische Bezeichnung lipstikka oder liperistikka auf der schwedischen Sprache. Es gibt aber im Finnischen noch weitere mundartlich beeinflusste Bezeichnungen wie liberstikku, lyppestikka, lipistykki, die alle nebeneinander gebraucht werden. Diese Auswahl beschränkt sich auf die wenigen Beobachtungen auf Marktständen in den Städten Helsinki, Juva, Lahti, Rovaniemi und sogar jenseits des Polarkreises in Sodankylä. Allerdings weiss ich nicht, woher der dortige Gemüsehändler den Liebstöckel bezog. Vielleicht hat er ihn ja von einer Gärtnerei aus dem 'südlicheren' Rovaniemi gekauft.

Von Mai bis Oktober ist es in Finnland nicht kalt, sondern meist mindestens ebenso warm wie bei uns, da dort die Sommertage viel länger dauern, scheint auch die Sonne länger. Daher gedeiht der Lebstöckel dort gut. Er kann den kalten Winter überstehen, wenn man die Würzelstöcke Ende Oktober mit reichlich Humus überdeckt, den man im Mai wieder entfernt. Ein Gärtner hat mir verraten, dass er die Stöcke über den Winter schützt, indem er die noch junge einjährige Erde vom Komposthaufen wallartig darüber aufschüttet, sodass die Wurzelstöcke bis zu 40 cm dick bedeckt sind. Diese Methode hat zudem den Vorteil, dass der Liebstöckel auf diese Weise jährlich den Dünger erhält, den er braucht

Herkunft des Namens

Botanische Bezeichnung: Levisticum officinalis. Der Zusatz officinalis bedeutet schlicht: In der Apotheke gebräuchlich. Der Liebstöckel hiess im Mittelhochdeutschen lübestecke, im Althochdeutschen lubestecco und entstammte den mittellateinischen Formen lubisticum, libisticum und libusticum, diese wiederum entstanden aus der lateinischen Nebenform ligusticum und der klassischen lateinischen Form levisticum. Ligusticum ist die Sammelbezeichnung zahlreicher, recht unterschiedlicher Pflanzen, die alle zu den Doldengewächsen gehören. Es gibt auch welche, die ähnlich wie Levisticum, als Kräuter benützt werden können und auch ähnlich duften wie Levisticum. Dennoch sollten sie nicht miteinander verwechselt werden. Zurück zum Levisticum: Im Italienischen hat sich die Form levistico gehalten, auf Französisch wurde daraus livège, auf altfranzösisch luvesche und lovesche, auf Spanisch levistico, auf Englisch lovage, auf Mittelenglisch loveache, auf Schwedisch libsticka, auf Norwegisch løvstikke, auf Dänisch lovstik, auf Holländisch lubbstake, auf Mittelholländisch lubberstekel und auf Griechisch levistikon. Die finnischen Namen wurder weiter oben schon behandelt.

Im deutschen Sprachraum haben sich für den Liebstöckel bis heute viele hundert mundartliche Formen gehalten, welche fast alle auf der althochdeutschen Form lubestecco fussen, das wiederum rein volksetymologisch im vorderen Wortteil meist mit Liebe und im hinteren Wortteil meist mit Stecken in Verbindung gebracht wurde. Wer alle deutschen Mundartnamen erfahren will, findet sie im Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen von Heinrich Marzell, Verlag S. Hirzel, Leipzig, 1972, 2. Band, ab Spalte 1264.

Quellen:
- OGS-eigene
- Wikipedia, unter Cumarin
- zahlreiche Wörterbücher
- Heinrich Marzell, Wörterbuch der deutschen Pfanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig, 1972
- maggi.de (speziell der Abschnitt über Julius Maggi)

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