Wörter in der deutschen Sprache, die mit 'Wr' beginnen sind sehr selten. Dementsprechend reizt es den Germanisten ebenso wie den Möchtegern-Germanisten, eine kleine Sammlung solcher Wörter anzulegen. Wer findet am meisten solche Wörter? Auf die seltsame Idee, solche Wörter zu sammeln, kam ich schon während der Schulzeit. Sie sind mir aufgefallen, vor allem ab dem Schuljahr der 4. Klasse, die ich bei Lehrer Emil Krönert in Zürich-Seebach verbrachte. Er war ein guter Germanist, doch hat er nicht Germanistik studiert, sondern das Lehrerseminar besucht und dort war Germanistik immerhin eines seiner Studienfächer. Er war es, der im Jahr 1954 seine Schüler auf diese in der deutschen Sprache seltene Buchstabenkombination am Wortanfang aufmerksam machte.
Da ich damals gerne mal ein unnützes Kind spielte, leistete ich mir den Luxus, fortan solche Wörter zu sammeln. Auch wenn es manchmal Jahre dauerte bis ich wieder einmal auf ein solches Wort stiess, habe ich den Spass bis heute durchgezogen und solche Wörter allen Ernstes gesammelt, inzwischen also seit 68 Jahren! Einen gleichen Beitrag findet man in der OGS auch für Wörter, die mit 'Hr' beginnen. Er wird in nächster Zeit publiziert.
In der englischen Sprache ist diese Buchstabenkombination recht häufig und auch in slawischen Sprachen kommt sie oft vor. Im Deutschen hingegen ist sie sehr selten. Noch seltener ist sie in den lateinischen Sprachen, dort kommt sie überhaupt nicht vor. Wie man rasch erkennt, stammen die meisten heute noch benützten echten deutschen Wr-Wörter aus dem Niederdeutschen, auch Plattdüütsch genannt. Niederdeutsch ist zwar eine richtige und anerkannte Sprache, besitzt aber keine Schriftsprache, sondern 'nur' viele Dialekte. Ausserdem wurde sie während Jahrzehnten an den Schulen bekämpft. Sie wurde noch bis um 1900 auch in Deutschland offiziell benützt. Sie leidet heute am gleichen Problem wie das Rätoromanische. Es gibt aber immer noch viele Millionen Sprecher, welche sie noch einigermassen verstehen und unter sich gebrauchen. Es gibt auch zarte Bemühungen, sie am Leben zu erhalten, jetzt auch von staatlicher Seite.
Hier meine aktuelle Liste jener 54 Wörter, welche man in deutschen Texten gelegentlich noch antrifft. Es sind auch deutsche Mundartwörter aufgeführt, vor allem aber niederdeutsche Wörter, aber auch deutsche Schreibweisen slawischer oder griechischer Orte, Berge etc. sowie Familiennamen. Nicht aufgeführt werden englische Wörter, da dort die Kombination 'wr' noch völlig alltäglich ist. Doch auch dort wird das 'w' nicht mehr ausgesprochen:
Wrabniza = deutsche Schreibweise eines Ortsteils von Sofia Wrach Botew = deutsche Schreibweise eines Berges in Bulgarien Wrachlonas = deutsche Schreibweise eines Berges in Griechenland Wrack = Trümmer eines verunglückten Schiffs oder Flugzeugs wrack = völlig defekt, stark beschädigt, Seemannssprache, niederdeutsch Wrackbarsch = eine Art des Zackenbarsches, Polyprion wrahlen = sich am Boden wälzen, niederdeutsch wralen = sich am Boden wälzen, niederdeutsch Wran, deutsche Schreibweise der tschechischen Stadt Vrané nad Vltavou Wrang = Kurbel, niederdeutsch Wrang = Schweinsbräune (Krankheit), niederdeutsch Wrange = Querversteifung des Schiffbodens, niederdeutsch Wrangenkraut = Pflanze Archangelica officinalis Wrangenwuordel = Wurzel des Wrangenkrauts, niederdeutsch Wrangenwurzel = Wurzel des Wrangenkrauts Wrangel = deutsch-baltisches Adelsgeschlecht, Familienname Wrangel-Insel = nordsibirische Insel, benannt nach Ferdinand von Wrangel wrangeln = unruhig sitzen, niederdeutsch Wranitzky = österreischischer Komponist Wrasen = wasserhaltiger Dunst, niederdeutsch Wrasenabzug = Abzug der Küchenschwaden an der Decke, niederdeutsch Wrasenrohr = Abzugrohr des Küchenschwadenabzugs, niederdeutsch Wratislaw = erster König Böhmens Wratnik = deutsche Schreibweise von Vratnik, Ortsteil von Sarajewo Wratzow = deutsche Schreibweise der beiden tschechischen Orte Vracov wrautschen = gehen, niederdeutsch wriggen = mit nur einem Paddel rudern, niederdeutsch Wraza = deutsche Schreibweise der bulgarischen Stadt Vratsa Wrba = deutscher Familienname Wrede = deutscher Familienname Wredenhagen = Ortsteil von Eldetal in Mecklenburg-Vorpommern Wremten = auch Wrempt genannt = Pflanze Artemisia absinth Wreschen = deutsche Schreibweise der polnischen Stadt Wrzesnia Wribbel = zappeliges Kind, unruhiger Mensch, niederdeutsch wribbeln = drehen, zwischen den Fingern reiben, niederdeutsch wricken = ein Boot mit dem Ruder bewegen, niederdeutsch Wriefkniepenkraut = Pflanze Ononis spin Wrieten = Unkraut, niederdeutsch Wriezen = Stadt in Märkisch Oderland, Brandenburg wriggeln = ein Boot mit dem Ruder bewegen, niederdeutsch wriggen = ein Boot mit dem Ruder bewegen, niederdeutsch Wrisching-Röslein = Pflanze Bellis per. wringen = nasse Wäsche durch Verdrehen auswinden Wrist = Ort in Schleswig-Holstein Wriwwel = Unruhe, niederdeutsch Wrobel = Pseudonym des Journalisten Kurt Tucholsky wrögeln = nicht still sitzen, niederdeutsch Wrömk, auch Wrömp genannt = Pflanze Wromolimnä = Seen in Nordmakedonien Wronke = deutsche Scheibweise der polnischen Stadt Wronki Wrontades = Stadt in Griechenland Wröpen = Pflanze Plantago major Wrubbel = deutscher Familienname, vermutlich mit slawischem Ursprung wruchen = sich abrackern, niederdeutsch Wruk = Kosename für kleines Kind, niederdeutsch Wruke, auch Wrucke genannt = Kohlrübe, niederdeutsch
Im älteren Deutsch, wie etwa dem Mittelhoch- und Mittelniederdeutschen gab es noch mehr Wörter in der Alltagssprache, die mit einem Wr... begannen. Die meisten haben im Laufe der Zeit das vorangehende W verloren oder eine andere Schreibweise erhalten: Hier ein paar Beispiele:
Wrache = Rache Wrane = Zank Wraz = Vielfrass wrechen = rächen Wreidel = Reitel, in wenigen Mundarten noch am Leben Wride = Frieden wringen = ringen, kämpfen Wrist = Rist, in wenigen Mundarten noch am Leben wriven = reiben wrohten = fürchten Wrumkeit = Tüchtigkeit Wriunt = Freund
Letztmals nachgeführt: am 29.11.2022
Quellen: - div. deutsche Wörterbücher, mitteldeutsche und niederdeutsche Wörterbücher, Lexikone, Atlanten, drei Personen, welche noch Plattdüütsch snacken konnten (um 1971 bis 1980), etymologische Nachschlagwerke