Nach einem Roman von Jeremias Gotthelf von einem Seebacher Theaterverein aufgeführtes Schauspiel, etwa im Jahre 1951 im Schönausaal.
Für dieses Schauspiel gab es auch einige Statistenrollen zu vergeben, wobei ich ungefragt von meiner Mutter als geeignetes Bübchen gemeldet wurde, die Rolle eines kleinen, weinenden Kindes zu spielen, welches dann von einer Mutter auf den Schoss genommen wurde und etwas zu trinken bekam. Ich war damals keine acht Jahre alt und verstand von allen Zusammenhängen nichts. Meine Mutter trainierte dann mit mir jeden Abend, was ich zu tun hatte. So setzte sie sich auf einen Stuhl in der Küche, während ich im Korridor warten musste. Dann gab sie das Zeichen zum Anfangen. Als ich das «Jetzt» hörte, begann ich markerschütternd zu schreien, öffnete die Küchentür und rannte zur Mutter. Sie nahm mich mit ausgestreckten Armen entgegen, setzte mich auf ihren Schoss und gab mir aus einer Tasse etwas Milch zu trinken, worauf ich notgedrungen mit Schreien aufhören musste. Dann liess sie mich wieder herunter und ich musste die Küche sofort wieder verlassen.
Das war sicher keine schwere Aufgabe, doch kam es nie zu einer echten Probe, denn man war der Meinung, dass das nicht nötig sei. Einzig meine Mutter bekam die Anweisung, mit ihrem Bübchen die Szene zu üben. Das Angenehme war, dass ich ausserplanmässig etwas Gutes zu trinken bekam. So stellte ich mich dann eher etwas dumm an, damit die Mutter das Ganze noch mehrmals mit mir übte, bis sie mit meiner Leistung und ich mit der Trinkmenge zufrieden war. Meine noch ziemlich kleinen Geschwister sahen dem Spektakel eher verwundert zu und begriffen nicht ganz, was das soll.
An einem schönen Abend war es dann soweit. Weil die Mutter über meine Rolle ein Riesentheater machte und es allen ihren Bekannten im Schönauring erzählte, wurde mir schon etwas mulmig im Bauch, so vor die vielen Zuschauer zu treten. Ich war damals noch ein ziemlich scheues Bübchen und wusste in solchen Situationen dann plötzlich nicht mehr, was ich machen sollte. Meine Mutter begleitete mich eine halbe Stunde vor Beginn und ich durfte dann hinter dem Vorhang bei meiner Mutter sitzen und zuschauen, wie sich die vielen Frauen in ihre altertümlichen Kostüme zwängten. Meine Mutter hatte allerdings nur die Aufgabe, mich zu beruhigen und im richtigen Augenblick auf die Bühne zu schicken. Ob ich irgendwelchen Text sagen musste, weiss ich nicht mehr, vermutlich aber eher nicht.
Als es dann soweit war und ich an der Reihe war, meine Rolle zu spielen und zu schreien hätte anfangen müssen, da versagte mir bereits die Stimme. Ich weinte so leise, dass die Souffleuse rief: "Lauter!" Da ich aber vor lauter Scheu nicht lauter zu schreien im Stande war, übernahm dann meine Mutter diese Aufgabe, was bei ihrer erwachsenen Stimme sicher nicht so leicht war. Dann nahm sie mich, weiterhin mein Schreien imitierend, am Händchen und bugsierte mich durch den Vorhang. Schon als ich nur kurz die Hunderte von Gesichtern sah, bekam ich eine Höllenangst und kehrte um. Nun wurde es der Mutter zu bunt und sie sagte mit zischender Stimme: "Brüll endlich und geh' zur Frau am Tisch, dort bekommst du etwas zu trinken". Das war genial. Nun konzentrierte ich mich nur noch aufs Trinken, trat ganz locker auf die Bühne, weinte laut und rannte zu der fremden Mutter am Tisch. Wie eingeübt, nahm sie mich mit offenen Armen auf ihren Schoss und gab mir etwas zu trinken. Ich weiss nicht mehr sicher, was es war, vermutlich Ovomaltine, aber ich weiss immer noch, dass es besser war, als alles, was ich zu Hause je zu trinken bekam. So stürzte ich das angebotene Getränk in der Tasse hinunter, d.h. ich versuchte es, denn die fremde Mutter zog immer wieder die Tasse zurück, weil ich zu schnell trank. Irgendwann war dann die Szene zu Ende und ich wurde wieder weggeschickt und verschwand hinter dem Vorhang, wo mich meine Mutter erleichtert in Empfang nahm.
Das war und blieb dann die einizige Rolle, die ich spielen musste und es war zugleich auch das Ende meiner schauspielerischen Laufbahn. Irgendwie hatte ich da noch Glück mit meinen acht Jahren, denn gewisse Schauspieler, wie etwa Paul Newman mussten bis über 80 spielen.
Am nächsten Tag, als ich für Mutter im LVZ Schönauring posten gehen musste, meinte die Filialleiterin Frau Zollinger: "So Noldeli, am Anfang hast aber nicht du geschrieen, da hat dir das Mami geholfen, gell?".