Ähnlich wie in slawischen Ländern, pflegte man im älteren Zürichdeutsch noch die Gewohnheit, den Familiennamen nach Geschlecht zu beugen. In Russland zum Beispiel hiess die Frau von Nikita Chruschtschow «Chruschtschowa» und jene von Breschnew «Breschnewa» usw. Gleiches gilt in Tschechien und der Slowakei. Wer kennt nicht die Tennisspielerinnen Hantuchova oder Navratilova? Eine ganz ähnliche Regelung gab es früher auch in deutschsprachigen Ländern. Grundsätzlich ist das also keine Seebacher Angelegenheit. Dennoch erscheint dieser Eintrag in der OGS, weil eben jeder Ort seine speziellen Familiennamen kannte und dabei kam es manchmal zu ganz kuriosen Ausdrücken, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.
So hatte jeder Ort eine einmalige Sammlung solcher gebeugter Familiennamen, welche in der Deutschschweiz jeweils mit einem «i» endeten und zum festen Bestandteil des Stallgeruchs eines Ortes gehörten. Das «i» war also nichts anderes als die deutschschweizerische Variante zum deutschen «in».
Von Frauenrechtlerinnen wird die Anwendung der weiblichen Form immer wieder moniert, nur bei den Familiennamen, da wollen sie eigenartigerweise nichts mehr davon wissen. So ging die weibliche Form des Familiennamens langsam verloren, ganz entgegen dem Trend, Männchen und Weibchen jeweils einzeln zu nennen. In Teilen Deutschlands und Österreichs verlor sich die Gewohnheit noch viel schneller als in jenen Gebieten, wo noch kräftig alemannisch oder bayerisch gesprochen wurde. Dort verschwand sie erst später, aber etwa zeitgleich wie in der Schweiz.
Der tiefere Grund für den Verlust der weiblichen Form des Familiennamens in den deutschen Sprachen könnte darin liegen, dass in allen Ländern, wo dieser Brauch gepflegt wurde oder immer noch gepflegt wird, die Endung eigentlich gar nicht so sehr die weibliche Form markiert, sondern schlicht und ergreifend, wem die Frau 'gehört'! Dem entsprechend markierte die Endung '-in' ganz ursprünglich eine Zugehörigkeit zu einem Hof oder dessen Besitzer. Dies wird ganz klar dokumentiert in den alten Ortsnamen, sobald man anfängt, diese in ihren Teilen zu deuten.
Anhand eines einfachen Beispiels sei dies erläutert: Örlikon wird erstmals 946 erwähnt. Örlikon nannte sich damals noch Orlinchova (sprich Orlink-Hofa). Orlinc-hova bedeutete wortwörtlich und zugleich sinngemäss im Dativ übersetzt «dem Orilo und seinen Leuten ihre Höfe» oder etwas kürzer und geschliffener im Genitiv «Höfe der Leute des Orilo». Im einzelnen übersetzt bedeutet Orl = Name des Hofgründers, -inc = zur Sippe, Familie gehörend und -hova = dem Hof. Das «-inc», welches später sein «c» an die nachfolgende Silbe verlor, zeigt sehr schön, dass «in» die Zugehörigkeit ausdrückte. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus die weibliche Endung. Dass diese Deutung kein Irrtum ist, belegt gerade die weiter oben erwähnte tschechische Sprache, welche die weibliche Form des Familiennamens immer noch kennt und wo damit ganz eindeutig die Zugehörigkeit der Frau ausgedrückt wird, also eben, wem sie 'gehört'. Da heutige Frauen nicht mehr einem Manne 'gehören' möchten, verlor sich diese Gewohnheit in der deutschen Sprache. In den slawischen Sprachen hingegen wurde die weibliche Form beibehalten, weil in slawischen Ländern die älteren Lebensweisen noch etwas länger erhalten blieben.
Noch um 1950 herum sagte man daher in Seebach nicht «Pfrau Meier», sondern «d´Meieri», wobei der weibliche Artikel meist als geräuschloser Verschlusslaut ausgesprochen wurde oder dann mit dem ersten Buchstaben des Familiennamens verschmolz. Gleiches galt für die Frauen namens Müller, Gloor, Hippin, Kunz, Bär, Baumann, Keller, Huber, Sartori, Camanni, Gnepf, Dillflug, Rotta, Receveur, Hebeisen, Grambach, Fierz, Mock, Decorvet, Szakáts, Flöscher, Lang, Weishaupt, Siegfried usw.
Die Frauen hiessen dann d´Mülleri, d´Glööri, d´Hippinni, d´Chüenzi, d´ Bëëri, d´Büümi, d´Chälleri, d´Hueberi, d´Sartööri, d´Gamänni, d´Gnepfi, d´Dillflüügi, d´Rottääi, d´Rösswööri, d´Hebisi, d´Grambächi, d´Fiirzi, d´ Möcki, d´Deggorwetti, d´Soggäätschi, d´Flööscheri, d´Längi, d´Wiishäupti, d´Ruppniggi und d´Siegfriedi. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass d´ + M zu pm, d´ + Ch zu K, d´ + B zu P, d´ + S zu Z, d´ + G zu Gg, d´ + D zu T, d´ + F zu Pf verschleifen. Dies bedeutete dann genau genommen: Die Müllerin, die Glöörin, die Hippinin, die Künzin, die Bërin usw. Natürlich gab es auch Namen wie etwa Äbi, Bürgi, Rölly, Schöni, Frigerio, welche sich der Bildung einer weiblichen Form scheinbar widersetzten, indem diese mit dem ursprünglichen Namen identisch blieben. Bei der Frau Frigerio hörte ich aber einmal die Form Pfridscheriööi, was dann schon ein bisschen an die Grenze des Zumutbaren kam, bei italienischen und rätoromanischen Namen aber unvermeidlich war. Wer das Spielchen heute noch zum Spass betreiben will, findet die richtige Lösung manchmal über den Umweg des Hochdeutschen, indem er den Namen zuerst hochdeutsch verweiblicht. Um ein paar Beispiele zu nennen:
Pfrau Bleichebacher = die Bleichenbacherin = d´Bleichebacheri oder weiter verschliffen zu ´Pleichebacheri. Pfrau Schratteflue = die Schrattenflühin = d´Schratteflüe-i Pfrau Perrenoud = die Perrenoud-in = d´Pärnüüi oder weiter verschliffen zu ´Pärnüüi Pfrau Vaucher = die Vaucher-in = d´Woschee-i Pfrau Valsangiaccomo = die Valsangiaccomo-in = d´Walsandschaggomööi Pfrau Cabbialavetta = die Cabbialavetta-in = d´Gabbialawettääi und weiter verschliffen zu ´Ggabbialawettääi Pfrau Casutt = die Casutt-in = d´Gasütti und weiter verschliffen zu ´Ggasütti
sowie die Sonderfälle:
d' Hantuchova = die Hantuchov-in = d´Hantuchööwi d' Navratilova = die Navratilov-in = d´Nawratilööwi d' Chruschtschowa = die Chruschtschow-in = d´Chruschtschöffi und weiter verschliffen zu ´Kruschtschöffi d' Breschnewa = die Breschnew-in = d´Breschnjeffi und weiter verschliffen zu ´Preschnjeffi
Weitere Sonderfälle, die hier nicht weiter erörtert werden sollen wären solche in Chinesisch, Japanisch, Kisuaheli usw.!
Gepflegt wurde dieser Brauch vor allem noch von Hausfrauen mit schlichterem Gemüt, angetrieben meist von ein bisschen Eifersucht auf die andere Frau. Die Verwendung der Familiennamenbeugung war also schon zu jener Zeit oft verbunden mit einer gewissen Abwertung der betroffenen Person, hatte also, wie man heute sagt, einen pejorativen Unterton. Allerdings war das längst nicht immer beabsichtigt.
Gewisse Buben, welche solche Ausdrucksweisen hörten, machten sich daraus einen Heidenspass, die Gewohnheit auch auf Frauen mit komplizierteren Familiennamen anzuwenden, wie obige Beispiele veranschaulichen, was dann dazu führte, dass einzelne Familiennamen fast unverständlich wurden. Doch genau darin bestand ja der Spass. Jene Frauen mit einem nicht deutschen Namen waren besonders dankbare Opfer. Die ersten Frauen mit fremden Namen, welche ausgehend von meinem Umkreis mit diesen weiblichen Namensformen bedacht wurden, waren um 1953-1957 die Deggorwetti (Décorvet), die Ssoggäätschi (Szakáts), die Sartööri (Sartori), die Pesaventööi (Pesavento), die Ggawiggiääi (Cavicchia) usw. Heute hört man diesen Brauch kaum noch. Wohl deshalb, weil die heutigen Buben sich über andere Spässe schelmisch freuen können und die neidische Hausfrau angeblich fast ausgestorben ist.