Über den Freiflug-Wurfgleiter Fliege findet man heute nur noch wenig Informationen. Durch Zufall kam ich 2015 zu vier Bausätzen von ehemaligen DDR-Segelflugmodellen und Wurfgleitern, allesamt von der Firma Anker Mechanik Eisfeld in Schönbrunn, Thüringen. Die Fliege stammt vom deutschen Konstrukteur Günter Weber-Friedland und die hohe Nummer W-143 verrät, dass die Fliege nicht sein erstes Modell war, welches er konstruierte. Unter allen mir bisher bekannten Modellen trägt es aber die niedrigste Nummer. Dazu ist noch anzumerken, dass Günter Weber eigentlich sein korrekter Name war, während Friedland/Mecklenburg sein Herkunftsort ist, welcher erst später Teil seines Namens wurde, vermutlich aus Werbegründen. Alle vier Anker-Modelle waren für mich von baulichem Interesse und so habe ich mich nun an das dritte Modell gewagt: die Fliege.
Weder im Bauplan noch in der Baubeschreibung steht, aus welchem Jahr das Modell stammt. Durch Zufall sah ich dann im Internet, dass Günter Weber-Friedland schon 1956 beim F. Krick-Verlag in Leipzig eine kleine Broschüre zu seiner Fliege veröffentlich hat, sodass damit sein Modell sicher schon vor 1956 flog. Mein Bausatz dürfte aus der Zeit um 1960 stammen. Die Fliege wurde auch nach 1964, als die Anker Mechanik Eisfeld zur VEB MOBA fusionierte, weiter gebaut. Der einzige Unterschied im Bausatz war eine kleine Änderung auf dem Beipackzettel, wo nun der neue Name der Firma angeschrieben steht. Das habe ich zufällig festgestellt, als in e-bay ein solcher Bausatz mit Foto angeboten wurde.
Da die Fliege mit einem Flügel in Leistenbauweise noch etwas schlichte bauliche Merkmale der 1950er Jahre besitzt, darf man sie als historisches Modell betrachten.
Änderungen am Modell
Der Bausatz befand sich seit gut 55 Jahren unbenützt in einem Plastikbeutel und enthielt ausser dem Leim und ein paar anderen Kleinigkeiten fast alles, was es brauchte, um mit dem Bauen beginnen zu können. Mit den 90.8 cm war die Spannweite für einen Wurfgleiter eigentlich gut bemessen. Nach dem Studium des Bauplans habe ich beschlossen, ein paar kleine Änderungen vorzunehmen:
- Der Flügel wird mit Japanseide bespannt, die wesentlich robuster ist. Das gab es auch schon in den 1950er Jahren.
- Eine 4 cm breite Vollbeplankung des Flügels mit 1 mm-Sperrholz unten und oben im Bereich der Flügelwurzeln zum Schutz der Bespannung vor den gekreuzten Gummiringen.
- Das Höhenleitwerk wird zusätzlich mit einer Thermikbremse mit Glimmschnur ausgestattet.
Mit diesen äusserlich fast nicht erkennbaren Änderungen wird das Modell etwas robuster in der Handhabung und kann dank der Thermikbremse nicht mehr entfliegen. Es wird kaum schwerer als das Original. Im Rohbau hinterlässt die Fliege einen sehr gefälligen Eindruck. Die Knollennasen und Guppybäuche waren damals ein übliches Erscheinungsbild vieler Flugmodelle und das verschiebbare Bleigewicht geht sogar noch bis auf die 1930er Jahre zurück. Es war sogar bei Werner Köllikers TV-Kö von ca. 1963 noch lebendig!
Bau des Modells
Mit dem Bau habe ich bereits begonnen. Auch bei diesem Modell war es möglich, den Rohbau innert ein paar Stunden fast zu vollenden, wenn auch mit Unterbrüchen zum Austrocknen des Weissleims. Ein wenig mehr Zeit musste ich dann in die Verstärkung der Flügelbefestigung investieren. Die Fliege ist mein erstes Modell, welches ein verschiebbares Ballastgewicht zum Austrimmen bekommt. Ich habe dieses Prinzip später auch beim TV-Kö verwendet, wo es ebenfalls Standard war.
Dieses Modell erhält keine Vorrichtung für den Hochstart, da ich meine Modelle durch Handwurf auf die Ausgangshöhe von etwa 10 Metern befördere. Bei geeigneter Thermik oder an einem Abhang gelingt das meist gut. Eingebaut habe ich hingegen die antike Thermikbremse mit Glimmschnur.
Die Bespannung des Modells erfolgt mit der strapazierfähigeren Japanseide. Die Flügel erhalten eine Besprühung mit Farbe, der Rumpf wird klar lackiert.
Flugvorbereitungen und Einfliegen
Dazu gehört das Einstellen des verschiebbaren Bleigewichtes, bis der Schwerpunkt exakt bei 40 % Flügeltiefe liegt. Auch die beiden Flügel werden gewichtsmässig mit Bleikügelchen genau ausgeglichen. Um nicht unnötig viel Blei zu verbauen, befinden sich die Einfüllstellen ganz aussen in 40% Flügeltiefe in den Randbögen. Die Kügelchen werden dort in eine Bohrung versenkt und mit Leim fest eingeklebt. Es folgen die ersten Probeflüge mit dem Ziel, dem Modell einen gleichmässigen Sinkflug 'anzugewöhnen'. Für diese Flüge ist das Seitenruder gerade zu stellen.
- Das Austrimmen des Kurvenfluges ist eine separate Aufgabe. Diese erfolgt erst, wenn das Modell vollständig ausgetrimmt ist. Der Kurvenflug dient dazu, dass das Modell sich nicht zu weit entfernt. Fliegt das Modell zu enge Kurven, ist das Seitenruder etwas schwächer einzuschlagen. Dies muss so lange getestet werden, bis die Kreise einen Durchmesser von etwa 150 Meter haben.
Kleine Wurfgleiter werden besser nicht mit Folie bezogen, sondern mit Japanseide oder mit Ecospan oder etwas Vergleichbarem. Die Bespannung sollte eine sich rau anfühlende Oberfläche haben. Japanseide darf daher nur mit einem sehr dünnen Farbfilm besprüht werden, damit sie nicht zu glatt wird. Das liegt daran, dass diese kleinen Modelle für den Langsamflug konzipiert wurden. Folie ist jenen Modell vorbehalten, die etwas schneller fliegen. Man kann allerdings die Bespannung auch aufrauen, wenn sie zu glatt geraten ist. Das geschieht am einfachsten mit Haar-Spray, auch Zackenband auf der Nasen- und Endleiste kann helfen, den Strömungsabriss hinauszuzögern.
Flugeigenschaften
Das Modell ist hochstartfähig, sofern man es entsprechend ausstattet. Mit 50 Meter Leine werden bei Windstille Flugzeiten von über 1 Minute erreicht. Bei Thermik sind bis zu 4 Minuten oder mehr möglich. Das Modell hat sehr gutmütige Flugeigenschaften und kann sogar bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 25 km/h hochgezogen und geflogen werden. Dann sind allerdings von der Landschaft Weiträumigkeit, Waldlosigkeit und See- und Sumpflosigkeit und vom Modellflieger gute Marschleistungen gefragt, wenn er sein Modell nach der Landung suchen geht. Mit einer Glimmschnur-Thermikbremse, die nur auf 3 Minuten eingestellt ist, kann dieses Problem etwas gelindert werden.
Schicksal des Modells
Aus Platz-, Alters- und gesundheitlichen Gründen musste ich im Herbst 2016 in eine kleinere Wohnung in der Nähe meiner Kinder ziehen. Das brachte es mit sich, dass ich mich auf den braven Fesselflug reduzieren musste und alle Freiflug- und RC-Modelle an ein paar gute Freunde und Bekannte weitergab, von welchen ich Gewissheit hatte, dass sie weiterhin für den Erhalt der meist historischen Modelle sorgen werden. Da alles sehr rasch abgewickelt werde musste, konnte ich nur die begehrtesten Modelle weitergeben. Den Rest gab ich einem Lehrling zur Weiterverwertung. Das weitere Schicksal des Modells ist mir daher nicht bekannt.
Technische Daten
Spannweite des Flügels: 90.8 cm Flügeltiefe: 8.7 cm Spannweite des Höheneitwerks: 30 cm Länge: 68 cm Flügelfläche: 7.9 dm² Höhenleitwerksfläche: 2.1 dm² Gewicht: 120 g Flächenbelastung: 15.19 g/dm² Gesamtflächenbelastung: 12 g/dm² Flügelprofil: MVA 85 EWD 2.5° V-Stellung der Tragflächen: 8° Schwerpunkt: etwa bei 40% der Flügeltiefe Thermikbremse: mit Glimmschnur
Dies ist die Fliege, abfotografiert vom Beipackzettel des Bausatzes der Firma Anker Mechanik Eisfeld. 1960 ist das geschätzte Baujahr meines Bausatzes. Das Modell flog aber schon 1956.
Das Rumpfvorderteil aus 4 mm-Sperrholz ist bereits vorgefertigt, alles weitere ist Handarbeit. Neckisch ist der Schlitz für das verschiebbare Bleigewicht zum Trimmen.