'Auf der anderen Seite des Ganges' ist heute ein bekannter Sinnspruch mit verschiedenen Interpretationen, die man im Internet alle aufsuchen kann. Es ist nicht bekannt, ob ganz am Anfang wirklich nur der Korridor gemeint war oder ob der unbekannte Urheber schon damals die Doppeldeutigkeit des 'Ganges' als Korridor und als Fluss im Auge hatte. Es gibt heute vermutlich niemand mehr, der weiss, wie er zustande kam.
Ob die nachfolgende Kindergeschichte aus meiner Primarschulzeit im Schulhaus Kolbenacker in Zürich-Seebach der Ursprung des Spruches ist, wage ich eher zu bezweifeln, doch weil ich die Geschichte vermutlich schon 1956 zum ersten Mal hörte, dürfte sie immerhin in die Frühzeit der Entstehung zurück reichen. Sie soll aus einem Buch wie dem Helvetikus, dem Pestalozzi-Kalender, dem Junior-Heftli oder aus einer anderen Publikation für Kinder stammen. Daran erinnere ich mich nicht mehr. Sie lautete ungefähr wie folgt:
Es gab einmal in einem Amtshaus in Kalkutta am Ganges ein viel besuchtes Postamt mit zahlreichen Schaltern. Dieses musste umgebaut werden. Daher richtete man auf dem selben Stockwerk schräg gegenüber eine provisorische Ersatzpoststelle ein. Der Poststellenleiter liess eine grosse Tafel beim Eingang der alten Poststelle aufstellen, auf welcher zu lesen stand: "Das Postamt befindet sich vorübergehend auf der anderen Seite des Ganges".
Trotz dieses deutlichen Hinweises wurde die Ersatzpoststelle von keinem einzigen Kunden mehr besucht. Verwundert trat der Chef des anbetroffenen Postamtes auf den Korridor hinaus um den Grund dafür zu ermitteln. Er sah viele Leute zum alten Postamt gehen und er sah, wie sie den Hinweis auf der Tafel lasen und dann das Gebäude auf direktem Weg wieder verliessen um zur nächsten Brücke zu eilen, den Ganges zu überqueren und um dort das Ersatzpostbüro zu suchen ..........
Dass diese Geschichte offensichtlich einem kindlichen Gemüt entsprang, ist auch daran zu erkennen, dass sich der Schöpfer der lustigen Geschichte keine Gedanken darüber machte, dass man in Indien gar nicht deutsch spricht. Der bekannte Schlager 'Kalkutta liegt am Ganges' von Vico Torriani hat vielleicht unbeabsichtigt mit zur Popularität des Spruches beigetragen. Kurios ist auch der Umstand, dass der Spruch nur auf Hochdeutsch geht, in Schweizer Mundart funktioniert er mangels Genitivs nicht. Vielleicht hilft der Spruch, dass der Untergang des Genitivs im Hochdeutschen noch etwas hinaus gezögert wird.
Die nette Geschichte kam mir wieder in den Sinn, als am 1. Dezember 2012 in Zürich-Seebach das Restaurant «Nationalhof» in «The Ganges - Nationalhof» umbenannt wurde und jetzt indische Spezialitäten anbietet.
Quellen: - nicht mehr bekannt, irgend ein Kinderbuch um 1956