Für die Seebacher Jugend war die Bahnhofpasserelle oft das Ziel, um der Eisenbahn zuzuschauen, war doch die Aussicht von oben auf die Wagendächer oder die Dampflok irgendwie faszinierend. Über die Passerelle kursierten auch allerhand Geschichten, von denen Albert Burkhardt einige in seinen Lebenserinnerungen niederschrieb (Blosse Füsse, blutige Zehen, blaue Wunder, 1997, Limmat Verlag, herausgegeben von Paul Hugger und Kurt Wirth). Aber auch Ernst Benninger erzählt in seinen Lebenserinnerungen (nicht veröffentlicht) von allerlei Schabernack, den man auf der Passerelle anstellte: Als noch Dampfloks durchfuhren, sollen Lausbuben, den Loks in den Kamin gepieselt haben um gespannt zu warten, ob das irgendwelche Folgen habe. Wenn sich die Buben dazu anschickten, der Lokomotive solchermassen «einzuheizen» mussten andere Schmiere stehen und vor herannahenden Erwachsenen ebenso wie vor Mädchen warnen, denn die durften ja, um Himmels Willen, die pieselnden Buben nicht sehen. Es ist bekanntlich nie eine Dampflok unter der Passerelle explodiert, sodass man davon ausgehen kann, dass der «Brunnen» der Buben keine so gefährliche Flüssigkeit war, wie sie meinten.
Noch älter ist die Geschichte, welche in den 1950er Jahren die Runde machte: Dass die Buben den Dampfloks versuchten, in den Kamin zu pieseln, ist keinesfalls eine Erfindung der Schulbuben aus den späten 1920er Jahren. Schon viele Jahre früher muss der tatsächliche «Erfinder» dieses Sports vermutet werden, denn von ihm ist überliefert, dass exakt in dem Moment, als er seinen Strahl auf den unter ihm aufragenden Lokkamin richtete, die Dampflok mächtig zu fauchen begann und sich in Bewegung setzte. Der erste Fauch durchdrang dabei das früher noch grobmaschige Gitter der Bahnhofpasserelle und hinterliess auf den Kleidern des Buben Russ und Feuchte. Vor allem aber dürfte sein «Wasserspender» von dem Dampfe ziemlich warm bekommen haben.
Quellen: - Albert Burkhardt, 1997 - Ernst Benninger - OGS-eigene