Zum Schulsilvester 1957 erdachte ich eine besondere Einlage für die Schulklasse von Herbert Hartmann. Ich wollte es Heinz Rühmann nachmachen, dessen Film «Charly's Tante» ich kurz zuvor (unerlaubterweise, da noch zu jung) im Kino gesehen hatte. So fragte ich meine jüngere Schwester, ob sie mir für einen Streich einige ihrer Klamotten ausleihe. Die gute Schwester war einverstanden und so schlüpfte ich in ihre schwarzen, gestrickten Strumpfhosen, zog ihren roten Rock an und schlüpfte in meinen eigenen, dicken türkisfarbenen Winterpully und lieh mir bei der Mutter die Fasnachtsperücke mit kastanienbraunen Haaren aus, schminkte mir das Gesicht zartrosa, benetzte alles mit reichlich Parfüm, zog etwas Lippenrouge auf, klemmte zwei billige Ohrenklunkern an die Läppchen und zu guter Letzt polsterte ich noch die Brust etwas auf. Da im Hause keine Äpfel verfügbar waren, entstand die Brust mit einer Schur um den Hals und einem flachen Kissen, das über die Schnur gehängt wurde. Bei den Schuhen lief allerdings gar nichts, denn sowohl Mutters Stöckelschuhe als auch die Flachlatschen der Schwester waren zu klein. Also schlüpfte ich in die eigenen halbhohen, schwarzen Kunstpelzstiefel. Insgesamt sah das ganze schon etwas schrill aus. Doch nun ging's ab auf die Strasse.
In der Morgendämmerung schritt ich zügig von den Buchwiesen in Richtung Falken und begegnete dabei etlichen bekannten Frauen und auch dem Chef des Vaters (!), Herrn Jansen, Chef Malerequippe der BGZ. Seelenruhig grüsste ich sie alle mit absichtlich tiefer Stimme und erntete verblüffte Blicke, weil mich niemand kannte, ich aber deren Namen wusste und für eine junge Frau eine viel zu tiefe Stimme hatte und ihnen einfach vorkam wie ein überparfümierter, aufgeplusterter Kakadu.
Ab der Bäckerei Hippin ging ich dann aufs Ganze, lief geradewegs auf eine Frau zu und rülpste anhaltend und sehr laut, sodass sich die Frau über das Benehmen der heutigen jungen Frauen entrüstete!!! Das gab mächtig Auftrieb. Allmählich traf ich auf Klassenkameraden und begrüsste sie mit verstellter, diesmal aber heller Stimme. Auch sie waren verblüfft, vor allem, dass sich ein derart herausgeputztes Mädchen so ungeniert ihnen näherte. Bald erkannten sie aber das Gesicht und mussten Schöllen lachen.
Beim Schulzimmer angekommen, wussten inzwischen die meisten Buben, wer sich hinter dem «Mädchen» versteckte, nicht aber die Mädchen der Klasse, die zuerst vermuteten, es gäbe eine neue Nähschullehrerin. Diskret nahm ich in einer anderen Schulbank Platz, um den Lehrer zu täuschen. Die Mädchen feixten mich ganz besonders an, denn die erkannten mich nicht, merkten aber, dass da etwas nicht stimmen konnte, bei der Aufmachung.
Als Lehrer Hartmann ins Zimmer trat, fiel ihm das unbekannte, etwas ordinär wirkende Mädchen natürlich sofort auf und so kam er auch gleich auf mich zu und schaute sich das Wesen näher an. Als er mich erkannte, begann er laut zu lachen und fand den Silvesterstreich ganz besonders gelungen. Er erzählte dann der Klasse, dass er das eigenartige Mädchen schon im Korridor gesehen habe und über ihren seltsamen, unmädchenhaften Gang mit den langen Schritten schmunzeln musste. Er belehrte mich dann, dass Mädchen in solcher Aufmachung trippeln und überhaupt seien die Stiefel und der grosse Busen zu frech und Schminke und Rouge unangemessen für ein Schulmädchen. Es sei die Ã?bertreibung ins Groteske gewesen, die mich rasch verriet.
So ging der Klamauk langsam zu Ende und da ich keine anderen Kleider bei mir hatte, musste ich drei Stunden lang in den Mädchenklamotten die Schulbank drücken. Die anderen Mädchen schauten mich ständig an und immer wieder mussten sie lachen bei dem Anblick, während dessen sich die gestrickten, beissenden Strumpfhosen vor allem im Schritt immer unangenehmer bemerkbar machten.