Der Messerschmitt-Kabinenroller wurde in Deutschland hergestellt und nicht in Seebach. Er gehörte damals aber zum Strassenbild von Seebach, wie viele andere seiner Konkurrenten auch. Seine Anfänge gehen auf eine Konstruktion von Fritz Fend zurück, welcher seit 1946 an einem Fahrzeug experimentierte, welches es Kriegsinvaliden hätte ermöglichen sollen, sich ebenfalls im Strassenverkehr zu bewegen. Da zu dieser Zeit in Deutschland der Bau von Fahrzeugen für die Zivilbevölkerung noch verboten war, baute Fend, ein Flugzeugkonstrukteur, ein Tretmobil aus Fahrradteilen, welches später mit einem sehr kleinen Motor versehen wurde. Als «Fend Flitzer» kam das Fahrzeug dann mit einem 4,5 PS-Motor für etwas über DM 1'200.-- auf den Markt. Er wurde über 65'000 Mal verkauft.
Professor Messerschmitt wandte sich Anfang der 1950er Jahre an Fend und daraus resultierte eine Zusammenarbeit, aus welcher der wesentlich verbesserte Kabinenroller KR 175 und bald danach der KR 200 entstand. Das Fahrzeug trug den Übernamen «Aquarium» ganz allgemein und «Schneewittlisarg» im Besonderen. Das ist so zu verstehen: Aquarium nannte man auch andere Kleinstwagen mit Plexiglasdach, Schneewittlisarg jedoch nur den Messerschmitt. Er galt eigentlich nur bei sehr grosszügiger Auslegung als Auto.
Man sass hintereinander und es hatte Platz für zwei schlanke Fahrgäste, welche nach der Anschaffung zwingend auf ihre Linie zu achten hatten, sonst hätten sie zum Einsteigen irgendwann eine Art Schuhlöffel benötigt. Zum Ein- und Aussteigen öffnete man die Plexiglashaube, ganz ähnlich wie bei einem älteren Jagdflugzeug. Es hatte einen Zweitaktmotor mit einem tuckernden Ton, welcher je nach Modell 9 oder 10 PS leistete. Hinter dem Fahrzeug sah man stets ein feines, blaues Wölklein und es roch zu allermeist ein bisschen nach verbranntem Öl. Das Motörchen war im Wageninnern recht vernehmlich und beeinträchtigte durchaus die Unterhaltung mit dem Wagenführer, doch nahm das jedermann in Kauf. Hauptsache, der Wagen fuhr vorwärts.
«Vorwärts» ist denn auch das Stichwort für eine weitere Eigenart der ersten Serien: Sie besassen noch keinen Rückwärtsgang. Beim rückwärts Einparken musste man auf die «Technik» der Töfffahrer zurückgreifen, nämlich von Hand zu schieben. Beim KR 200 wurde dieser Nachteil dann beseitigt, wobei man weit über das Ziel hinaus schoss, denn er bekam vier (!) Rückwärtsgänge. Die Erklärung dafür ist einfach: Das Werk schaffte es, dem Triebwerk beizubringen, die Drehrichtung zu wechseln. So arbeitete das Getriebe als vierfacher Rückwärtsgang, nur brauchte das natürlich niemand.
Das Autochen erzeugte bei den «richtigen» Autofahrern oftmals unvorstellbar viel Mitleid. Dementsprechend liess man ihm gerne den Vortritt, um es später mit viel Schwung zu überholen. Die Kinder hingegen fanden an dem Wägelchen viel Gefallen. Immerhin war es das einzige «Auto», dessen Kabine auf Höhe der Kinderaugen lag und wo auch die Kleineren rein gucken konnten. Im Schönauring stand ein solches Fahrzeug oft am Strassenrand ganz nahe beim LVZ um etwa 1954. Der stolze Besitzer wird von der OGS immer noch gesucht.
Professor Messerschmitt unterliess nichts, um seinen Kabinenroller stets im Gespräch zu halten. So stattete er ein Sonderexemplar des KR 200 mit einer windschlüpfrigen Karosserie aus, liess den Motor frisieren und von 191 auf 200 cm³ aufbohren, länger übersetzen und schickte es mit einem Rennfahrer auf den Hockenheimring, wo das Gefährt satte 204 km/h erreichte. Diese Nachricht kam in allen Kino-Wochenschauen, vorab im Cinébref oder in der Vorschau anderer Kinos mit eindrücklichen Bildern und mancher Besitzer dieses niedlichen Wägelchens dürfte noch stolzer durch die Gegend getuckert sein, auch wenn sein Gefährt, beladen mit zwei Personen und einer Einkaufstasche, beim besten Willen nicht mehr als 70 km/h (KR 175) oder 85 km/h (KR 200) lief, wobei das Motörchen dann Mitleid erregend heulte. Messerschmittfahrer meinten seit dem Geschwindigkeitsrekord dennoch, dass sie sogar die Lichtmauer durchbrechen könnten. So weit kam es aber nie. Dafür hat die Physik schon gesorgt.
Fend und Messerschmitt trennten sich leider schon 1956 wieder, wobei Fend die Produktion des Kabinenrollers zu sich nahm und Messerschmitt sich wieder seinen Flugzeugen zu wandte. Fend gründete dazu die Firma FMR und produzierte anfänglich noch eine Cabrio-Version, die noch unter Professor Messerschmitt Serienreife erlangte. Danach folgte 1957 der TG 500 Tiger mit einem Motor von fast 500 cm² Hubraum, vier Rädern und rund 25 PS. Kaum jemand nannte diese Variante jedoch Tiger. Ich kann mich noch dunkel daran erinnern, dass er in Seebach «Gelte» genannt wurde. Ob dieser Übername generell galt oder ob er ein Einzelname war, ist heute nicht mehr zu eruieren. Die hinteren Räder lagen allerdings etwas näher beieinander als vorne. Er blieb ein Liebhaberfahrzeug und wurde im Werk von Hand liebevoll zusammen geschraubt. Viel mehr als zwei Stück pro Woche verliessen kaum das «Werk», welches nicht viel grösser wie ein Migrosladen war. Um 1965 oder 66 sollen die letzten Ladenhüter in der Schweiz «über den Tisch gegangen» sein. An Veteranenveranstaltungen taucht der Messerschmitt-Kabinenroller aber heute noch regelmässig auf, allerdings nicht als Tiger, sondern meist als KR 200.
Miesepeter meinten damals, dass der Messerschmitt KR 175 beim Gasgeben nicht beschleunige, wie das alle anderen Autos üblicherweise tun, sondern dass er ganz langsam immer weniger langsam werde. Die Geschichte des Aquariums hat ganz klar aufgezeigt, dass ein richtiges Auto unbedingt ein bisschen mehr als 175 cm³ Hubraum haben sollte. Um aber zur Arbeit zu fahren, war es unschlagbar (günstig). Nur bekommt man diesen sparsamen Wagen heute nicht mehr, trotz seinem damaligen Erfolg. Die Vertreter der Autobranche versuchen vielmehr, dem Pendler klar zu machen, dass es heute hierfür mindestens einen zweitönnigen, 4,8-litrigen und mit 400 PS bestückten «Tschiip» braucht, dessen Durst im 16-Liter-Bereich liegt. Schluck!
Quellen: - Schweizer Film-Wochenschau 1955 - OGS-eigene - Franklin Fehr - Wikipedia