«Tatzelwurm» war die spassige Bezeichnung für den ersten Gelenkautobus des Typs Saurer 4GP, welcher in zwei Exemplaren 1954 und 1958 an die VBZ ausgeliefert wurde. Neben der Bezeichnung «Tatzelwurm» nannte man ihn auch «Heckferrari» und zwar, weil er 1. laut war und 2. weil er einen 12-Zylinder-Motor hatte und 3. weil er ein röhrendes Geräusch von sich gab. Schnell war er allerdings nicht, denn er erreichte nur 52 km/h. 'Schnell' war er nur deshalb, weil er seine Einsatzstrecke fast ohne Zwischenhalte zurücklegte. Darüber hinaus bekam er vom Volksmund noch die eher despektierliche Bezeichnung «Rumpelchischte». Er kam anfänglich auf der Linie 68 zum Einsatz, die in der Folge als Direktverbindung vom Hauptbahnhof zum Flughafen Kloten geführt wurde. Den 1. Übernamen Tatzelwurm bekam er wegen seiner Länge von fast 17 Metern und wegen des Gelenks mit Faltenbalg. Der Name wurde von der VBZ-Personalzeitung 'Kontakt' (Vorgänger des Regenbogens) erstmals benützt. Da wir in unserer Schulklasse einen Schüler (es war Erwin Stähli) hatten, dessen Vater bei den VBZ als Tramführer arbeitete, kannte dieser den Übernamen des Busses von Anfang an und erwähnte ihn gegenüber unserem Primarlehrer. Dieser benützte ihn dann immer wieder, vor allem, weil wir alle in der Klasse diese Bezeichnung lustig fanden. Der Bus war oft Gesprächsstoff in der Schulklasse.
Die beiden Busse besassen als besonderes Merkmal ein nach oben abgerundetes Heck mit grosser gewölbter Scheibe, wie auf einer Planzeichnung gut ersichtlich. Der Motor war im Heck eingebaut, besass grosse Kühlschlitze und war, wie schon erwähnt, nicht gerade sehr leise. Er wurde wie ein Schiffsmotor mit Dieselöl betrieben und trug die Typenbezeichnung CV1D. Der Motor war auch im Wageninnern, vor allem im hinteren Abteil sogar sehr vernehmlich. Er leistete dafür auch satte 240 PS und hatte einen Hubraum von 17,4 Litern. Der Motor war nicht unterflurig eingebaut, sondern beanspruchte den hinteren Teil der Fahrgastkabine und zwar so hoch, dass der Raum über dem Motor nur noch als Kofferabstellplatz genutzt werden konnte. Weil der Motor so weit weg vom Wagenführer installiert war, mussten im Führerstand Lautsprecher installiert werden, damit dieser die Motorgeräusche der elektropneumatischen Schaltung mithören konnte.
Der Bustyp war von der Konstruktion kein echter Schubgelenkbus mit gelenkter Hinterachse, wie das in einer deutschen Website zu lesen war. Vielmehr erfolgte die Kraftübertragung mittels kreuzgelenkter Kardanwelle durch das Gelenk hindurch auf die mittlere Achse nach Patent Saurer. Die hintere Achse war zwangsgelenkt. Er war wohl einer der ersten Busse mit durchgehend gleich flachem Boden, aber er war kein Niederflurbus. Das war vermutlich denn auch der tiefere Grund für die Anordnung des Motors im Fahrzeugheck. Beim 2. Exemplar mit der Nr. 202 baute man über dem Motor dann doch noch 5 Sitzplätze ein, welche damit leicht erhöht waren. Hinter den Sitzen gab es weiterhin Platz für Gepäck. Dieses war durch ein kleines Geländer geschützt. Als weitere Besonderheit bekamen die Busse erstmals wieder seit 1933 Sitze aus kräftigem Leder und zwar aus Repräsentationsgründen, weil er zum Flughafen Kloten verkehrte.
Anfänglich trugen die Busse die VBZ-Wagen-Nummern 201 und 202, später bekamen sie die neuen Nummern 553 und 554. Da der Tatzelwurm die Strecke vom Hauptbahnhof nach Kloten, Irrtum vorbehalten, mit nur einem Halt bei der Tramendstation Seebach und allenfalls einem zweiten beim Schaffhauserplatz zurücklegte, war er praktisch bei dem noch schwachen Verkehr von damals stets viel schneller, als wenn man mit dem 14er-Tram und dem 68-Bus zum Flughafen fuhr. Daher erzeugte er beim Publikum den Eindruck eines rasenden Ungetüms. Ein besonders auffälliges Merkmal war damals, dass der Bus beim Anfahren im Heck viel Staub von der Strasse aufwirbelte, vermutlich durch einen abwärts gerichteten Auspuff oder infolge der Wagenbodenaerodynamik. Der Wirbel selber wurde aber durch die Menge der Abgase erzeugt.
Vom Zürcher Hauptbahnhof nach Seebach brauchte er 15 Minuten und von Seebach zum Flugplatz 7 Minuten. Vor der Ausrangierung im Jahre 1975 wurden die Tatzelwürmer noch eine Zeit lang auf der Linie 63 vom Sternen Örlikon zum Hirschenplatz in Schwamendingen eingesetzt. Nach 1975 waren sie dann noch drei Jahre lang in der Notreserve des Busdepots Hagenholz eingeteilt, wo sie gelegentlich zu weiteren Einsätzen kamen. Einer der Busse war im April 1980 noch auf einem Abstellplatz in Dübendorf/Stettbach zu sehen, zusammen mit zwei Hochlenkern. Dass sie trotz ihres Prototyp-Charakters 24 bzw. 20 Jahre überlebten, zeugt von der damaligen Wertarbeit bei Saurer. Einer der beiden Busse hat bis heute als Gerippe und in Einzelteilen überlebt. Ab 2002 waren die VBZ nämlich im Begriff, ein Modell zu restaurieren, doch wurden diese Arbeiten 2004 unterbrochen. Ob sie je wieder aufgenommen werden, ist nicht bekannt.
Dass die Busse von ihrem Konzept her genial konstruiert und ihrer Zeit in einigen Punkten weit voraus waren, bekamen die VBZ zu spüren, als sich bei den deutschen Busherstellern herum sprach, dass es bei den VBZ bereits seit bald zwei Jahrzehnten einen Bus mit durchgehend flachem Boden und einer dem Schubgelenkantrieb ähnlichen Bauweise gab. Obwohl die Busse bereits vor der Ausrangierung standen, wurde das Konstruktionsprinzip von einigen deutschen Busbauern intensiv analysiert und dann prompt nachgebaut. Heute sind mehrere deutsche Bus-Konstruktionen nach dem Tatzelwurm-Konzept im Einsatz, also mit Heckmotor und nunmehr durchgehendem Niederflurwagenboden. Da der Tatzelwurm seinerzeit in enger Zusammenarbeit zwischen den VBZ und Saurer entwickelt wurde, geht ein Teil des Verdienstes, Pionierarbeit geleistet zu haben, auch an die VBZ. Und dass sie zumindest versuchten, ein Exemplar des Tatzelwurms überleben zu lassen, zeigt das feine Gespür der VBZ fürs historisch Wertvolle. Vermutlich unterbrach man die Restauration aus Gründen des Aufwandes. Ob hier der mechanische oder der finanzielle Aufwand gemeint war, ist noch offen.
Die Geschichte des Gelenkbusses ging bei den VBZ weiter. Nach dem Tatzelwurm gab es noch mehrere Nachfolgemodelle, bei welchen laufend die verbliebenen Mängel des ersten Busses ausgemerzt wurden.
Die Bezeichnung Tatzelwurm wurde auch dem dreiteiligen, roten SBB-Schnelltriebwagen Re 501/502 verliehen.
Quellen: - OGS-eigene - www.vbz.ch/Busgeschichte (inzwischen nicht mehr verfügbar) - VBZ-Archiv (Foto + Skizze + viele Infos) - Martin Braunschweiler (zahlreiche Verbesserungen und Präzisierungen)